Die in Nordhessen beheimatete Schwälmer Weißstickerei steht jetzt im Bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes. Das haben der Vorsitzende der Kulturministerkonferenz, der hessische Kunst- und Kulturminister Timon Gremmels, und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth, heute in Berlin bekanntgegeben. Das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst hatte den entsprechenden Antrag der Autorin Luzine Happel unterstützt, die in ihrer Schwälmer Heimat und online ihr Wissen über die Kunst weitergibt. Das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes würdigt kreative und inklusive Kulturformen und deren reichen Schatz an Erfahrungswissen. Die UNESCO-Kommission koordiniert das Auswahl-Verfahren für die deutsche Liste und leitet die Auswahlempfehlungen an die Kulturministerkonferenz der Länder und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien weiter. Neben der Schwälmer Weißstickerei wurden in dieser Runde auch die Berliner Technokultur, das Bergsteigen in Sachsen, die Finsterwalder Sangestradition, der Kirchseeoner Perchtenlauf und der Viez aufgenommen.
„Kultur ist nicht nur in Museen und Theatern zu finden, Kultur wird täglich von Menschen gelebt – zum Beispiel in der traditionellen Handarbeit. Die Schwälmer Weißstickerei ist ein einzigartiges Kunsthandwerk meiner nordhessischen Heimat. Ich freue mich, dass es nun im Bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen wurde“, so Kunst- und Kulturminister Timon Gremmels. „Es ist dem unermüdlichen Engagement von Menschen wie der Antragstellerin Luzine Happel zu verdanken, dass die kulturelle Tradition der Handarbeit praktiziert und an künftige Generationen weitergegeben wird. So bleibt Brauchtum lebendig.“
Technisch anspruchsvolle Grundtechniken
Die Schwälmer Weißstickerei verdankt ihren Namen der zwischen Kassel im Norden, Marburg im Südwesten und Bad Hersfeld im Osten gelegen Landschaft Schwalm. Sie entwickelte sich etwa Anfang des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf ein berühmtes sächsisches Vorbild: Die hauchzarte gestickte Dresdner Spitze, die der Aristokratie zugänglich war, faszinierte die Landfrauen so sehr, dass sie kreative Wege fanden, eine ähnliche Spitze zu fertigen. Dafür nutzten sie das Material, das sie hatten – groben Leinenstoff – und verwendeten wie beim Dresdner Vorbild eine Vielzahl an Stichen aus mehreren technisch anspruchsvollen Grundtechniken. Diese von Anfang ausgeübte Diversität macht die Schwälmer Weißstickerei zu einer einzigartigen, besonders variantenreichen Technik. Bis heute ist es nicht möglich, eine vergleichbare Spitze maschinell herzustellen.
Mit der Schwälmer Weißstickerei gibt es nun drei Einträge mit direktem hessischem Bezug im Bundesweiten Verzeichnis für Immaterielles Kulturerbe: Der Hessische Kratzputz steht seit 2016 auf der Liste, 2022 kam die Apfelweinkultur dazu. Beim Immateriellen Kulturerbe steht der Mensch im Mittelpunkt: Seine Bräuche, Künste, Feste und Handwerkstechniken sind kulturelle Ausdrucksformen. Das UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes von 2003 will dieses Erbe, seine Vielfalt und Kreativität bewahren und den gegenseitigen Respekt der Menschen vor ihren Kulturen stärken. Die Aufnahme ist mit einem mehrstufigen Verfahren verbunden. Erst, wenn ein regionaler Brauch oder ein besonderes Können im Bundesweiten Verzeichnis für Immaterielles Kulturerbe eingetragen sind, haben sie eine Chance darauf, auch in die weltweiten Listen aufgenommen zu werden.